Nahrungsergänzungsmittel - Fast jede zweite Probe beanstandet

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Immer wieder werden in Nahrungsergänzungsmitteln gefährliche Substanzen gefunden. Reichen die Kontrollen aus? Wir haben erstmals deutschlandweite Daten zu untersuchten Proben und Beanstandungen gesammelt und ausgewertet.

Darum geht’s:

Viele Menschen nehmen Nahrungsergänzungsmittel

Egal ob Vitamin-D-Tabletten, Pulver, Drinks oder Zink-Kapseln: Nahrungsergänzungsmittel boomen in Deutschland. 2021 wurden hier rund 202.000 Tonnen dieser Mittel produziert, 12,1 Prozent mehr als im Jahr zuvor.

Zwischen April 2021 und März 2022 lag der Umsatz mit Nahrungsergänzungsmitteln in Deutschland bei knapp 1,8 Milliarden Euro. 241 Millionen Packungen wurden laut dem deutschen Lebensmittelverband in diesem Zeitraum verkauft. Die Umsätze mit Nahrungsergänzungsmitteln aus dem Onlinehandel sind da noch gar nicht mit eingerechnet.

Warum du oft eigentlich gar keine Nahrungsergänzungsmittel brauchst, liest du hier.

Denn Nahrungsergänzungsmittel sind beliebt: Laut einer Befragung des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) nehmen mehr als ein Drittel der Deutschen mindestens einmal pro Woche Vitamine über Nahrungsergänzungsmittel zu sich, etwa jede sechste Person sogar täglich.

Kein Wunder, denn viele Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln preisen ihre Produkte online und im Laden immer wieder mit großen Versprechen an. So sollen sie etwa das Immunsystem stärken, Gelenkschmerzen verringern und das Gedächtnis verbessern.

Darum müssen wir drüber sprechen:

Immer wieder gefährliche Substanzen in Nahrungsergänzungsmitteln

Um in Deutschland ein Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt zu bringen, müssen die Hersteller nicht wahnsinnig viel machen. Denn Nahrungsergänzungsmittel sind aus rechtlicher Sicht Lebensmittel und müssen kein Zulassungsverfahren durchlaufen. Sie können ohne behördliche Prüfung von Sicherheit, Qualität und Wirksamkeit auf den Markt kommen – anders als Arzneimittel.

 

Dass die Qualität der Produkte stimmt und die Nahrungsergänzungsmittel alle nötigen Vorschriften erfüllen, ist allein Sache der Hersteller. Bevor sie ihre Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt bringen, müssen sie das Produkt lediglich beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL)  anzeigen und in dem Rahmen unter anderem allgemeine Angaben über Namen und Hersteller machen sowie ein Muster des Etiketts hochladen.

Das BVL prüft die Anzeige dann noch auf Vollständigkeit und leitet sie an die Landesbehörden und das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) weiter und dann kann das Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt.

 

Vor einem Jahr haben wir bei Quarks dazu bereits einen Selbstversuch gestartet und versucht, ein giftiges Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt zu bringen – mit Erfolg.

Verbraucherschützer:innen kritisieren schon seit Jahren, dass das Inverkehrbringen von Nahrungsergänzungsmitteln viel zu einfach sei. So schreibt uns etwa die Verbraucherzentrale NRW: "Unsere Erfahrungen (und die von vielen Journalist:innen) mit der NEM-Anzeige beim BVL zeigen, dass selbst wenn man Strychnin in die Zutatenliste schreibt, es selbst nach sechs Monaten noch keine Reaktion der Lebensmittelüberwachung gibt."

Strychnin ist extrem giftig und kann bereits in geringen Dosen eine Starre der Muskeln bewirken und zum Tod führen. Und auch generell werde die Anzeigepflicht für Nahrungsergänzungsmittel nach ihren Marktcheck-Erfahrungen je nach Produktgruppe bei zehn bis 30 Prozent der Produkte nicht so ernst genommen, sagt Verbraucherschützerin Angela Clausen.

Drei Arten von Herstellern

Immer wieder kommen Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt, die entweder zu hoch dosiert sind, falsche Angaben auf dem Etikett enthalten oder sogar mit illegalen Dopingsubstanzen versetzt sind. Das passiert zwar nicht immer mit einer bösen Absicht dahinter, für Betroffene kann es trotzdem schädigend sein.

Laut Dirk Anton von der Kölner Liste, einer Initiative, die Nahrungsergänzungsmittel auf illegale Dopingsubstanzen kontrolliert, teilt sich der Markt seiner Erfahrung nach in drei Arten von Herstellern: "Es gibt kriminelle Hersteller, die bewusst Dopingsubstanzen beimischen. Diese Hersteller machen das, weil durch die Dopingsubstanzen auch eine Wirkung erzielt wird und die Nachfrage über Mund-zu-Mund-Propaganda stetig gesteigert wird. Dann sind da noch riskante Hersteller, die unbewusst Dopingsubstanzen beimischen. Die kennen meistens die Verbots- und Monitoring-Liste der WADA (Welt Anti-Doping Agentur) nicht."

Und dann gibt es laut Anton auch noch die dritte Kategorie der regulären Hersteller. Nur diese stünden auch auf der Kölner Liste: "Das können sowohl große Unternehmen als auch kleine Betriebe sein. Was sie eint, ist die achtsame Produktion nach bestem Wissen. Doch auch bei diesen Herstellern kann es vereinzelt zu Doping-Kontaminationen durch unsaubere Rohstoffe oder Verunreinigungen im Verarbeitungsprozess kommen", so Dirk Anton.

Doping durch Nahrungsergänzungsmittel

Die Verbraucherzentrale hat bereits 2011 bei einem Marktcheck in 64 von 70 (91 Prozent) untersuchten Nahrungsergänzungsmitteln in Deutschland festgestellt, dass sie eigentlich nicht verkehrsfähig seien. Besonders auffällig waren damals Schlankheitsmittel.

Obwohl alle Produkte ausdrücklich als natürliche Nahrungsergänzungsmittel angeboten wurden, fanden die Forschenden in 13 von 21 Schlankheitsmitteln (61,9 Prozent) und in acht von 13 Potenzmitteln (61,5 Prozent) Arzneisubstanzen wie Sennoside, Aloin, Barbaloin und Ephedrin, die zum Teil sogar verboten sind.

Ende 2021 hat das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittel bei untersuchten Pre-Workout-Boostern – das sind Mittel, die die Leistung beim Kraftsport erhöhen und beim Fettverbrennen helfen sollen – in fast der Hälfte der 87 Proben(44,8 Prozent) potenziell gesundheitsgefährdende Stoffe gefunden. In mehr als jeder fünften Probe (21,8 Prozent) sogar gleich mehrere dieser Stoffe.

Am häufigsten hat das Amt die Substanzen Dimethylaminoethanol (DMAE) und Synephrin nachgewiesen. DMAE soll eine vermeintlich vorteilhafte Wirkung auf das zentrale Nervensystem haben und kann laut der Verbraucherzentrale Muskelverspannungen und Zuckungen sowie Schlaflosigkeit und Magenschädenverursachen. Synephrin wird häufig in Kombination mit Koffein angeboten und kann zu schweren Herzschäden führen.

Versehentliches Doping im Profisport

In der Welt der Profisportler:innen ist die Gefahr durch versehentliches Doping über Nahrungsergänzungsmittel real. Untersuchungen in Australien, Großbritannien und den USA haben gezeigt, dass etwa sechs bis neun Prozent der Dopingfälle auf Nahrungsergänzungsmittel zurückgehen.

2021 veröffentlichte auch das Zentrum für Präventive Dopingforschung der Deutschen Sporthochschule Köln eine Studie zu Nahrungsergänzungsmitteln. Das Ergebnis: In 24 von 110 Nahrungsergänzungsmitteln, die zwischen 2014 und 2020 im Zusammenhang mit positiven Dopingfällen untersucht wurden, konnten Dopingsubstanzen gefunden werden, die nicht auf dem Etikett angegeben waren.

Absichtliche Zufuhr von Dopingsubstanzen

"Wie groß das Problem ist, wissen wir nicht. Wir wissen nur, dass Nahrungsergänzungsmittel, die stark mit Muskelaufbau, Fettabbau und Booster-Effekten beworben werden, häufig absichtlich mit Dopingsubstanzen gefälscht sind", sagt dazu Dr. Hans Geyer, Geschäftsführer des Zentrums für präventive Dopingforschung an der Sporthochschule in Köln.

Eine aktuelle Liste mit Produktwarnungen von Verbraucherschützer:innen zu Nahrungsergänzungsmitteln findest du hier.

Fehlerhafte gesundheitsbezogene Aussagen

Und auch fehlerhafte gesundheitsbezogene Aussagen über Nahrungsergänzungsmittel tauchen immer wieder auf – gerade in sozialen Medien.

Das Chemische- und Veterinäruntersuchungsamt (CVUA) Stuttgart etwa hat die Instagram-Profile von 38 Betrieben aus dem Raum Stuttgart und Tübingen untersucht und sich Posts mit dauerhaft zugänglichen Bildern und Videos angeschaut.

In knapp 5000 Posts fanden die Forschenden 965 gesundheitsbezogene Angaben zu Nahrungsergänzungsmitteln, von denen sie etwa 39 Prozent als nicht zulässigeinstuften.

Genauere Informationen darüber, welche Aussagen Hersteller über Nahrungsergänzungsmittel tätigen dürfen – und welche nicht – findest du hier.

Aber:

Nahrungsergänzungsmittel werden womöglich nicht ausreichend kontrolliert

Wie viele Nahrungsergänzungsmittel in Deutschland wirklich problematisch sind, ist schwer zu erfassen und wird nicht zentral gesammelt. Denn die Kontrolle von Lebensmitteln – also auch von Nahrungsergänzungsmitteln – ist Sache der Bundesländer. Wie oft ein Betrieb kontrolliert wird, hängt unter anderem vom jeweiligen Risiko ab.

 

Daten aus den Bundesländern haben sehr unterschiedliche Qualität

Um herauszufinden, wie oft zuständige Ämter Nahrungsergänzungsmittel in Deutschland kontrollieren und mit welchen Ergebnissen, haben wir die Lebensmittel- und Verbraucherschutz-Ämter aller 16 Bundesländer angeschrieben und nachgefragt: Wie viele Nahrungsergänzungsmittel haben sie in den vergangenen Jahren auf ihre Zusammensetzung untersucht? Wie viele davon wurden beanstandet? Und was waren die Gründe dafür?

Diese deutschlandweiten Daten liegen bisher nicht vor, die Kontrolle von Lebensmitteln ist Ländersache und nicht zusammengefasst zugänglich – auch nicht beim Bund.

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