Informationen nutzen – Lebensmittelkrisen verhindern

Symposium widmet sich dem präventiven Verbraucherschutz

Das Informationszeitalter stellt Verbraucher, Wirtschaft und Behörden gleichermaßen vor große Herausforderungen. Während es für die Verbraucher zunehmend schwer wird, zuverlässige Informationsquellen zu identifizieren, besteht für Behörden und Unternehmen die Aufgabe darin, aus der alltäglichen Informationsflut die für die Lebensmittelsicherheit relevanten Informationen herauszufiltern. Beide Aspekte wurden von den rund 200 Teilnehmern des Symposiums „Prävention durch Information“ am 27. und 28. Oktober in Berlin diskutiert. Die Veranstaltung wurde vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) zusammen mit der Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission (JRC) organisiert.

„Die große Herausforderung der Zukunft ist es, die Analyse von Informationen fachlich so zu schärfen, dass wir bei der Prävention schneller und besser werden“, fasste Helmut Tschiersky, Präsident des BVL, die Zielstellung des Symposiums zu Beginn der Veranstaltung zusammen. Dies gelte auch für den Kampf gegen Lebensmittelbetrug. Elke Anklam, Direktorin beim JRC, dem Mitorganisator des Symposiums, ergänzte: „Die Vernetzung untereinander ist sehr wichtig, um Lebensmittelbetrug effektiv begegnen zu können.“ Bernhard Kühnle, Abteilungsleiter im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, wies in seinem Grußwort auf die Grenzen der Lebensmittelsicherheit hin. Jedes betriebliche oder behördliche Überwachungssystem ende an der Haustür der Verbraucher. Kühnle betonte deshalb: „Informationen sind die einzige Möglichkeit, Lebensmittelsicherheit im privaten Haushalt zu gewährleisten.“

Verbraucherschutz durch gezielte Information

Der erste Block des Symposiums widmete sich ganz der Information der Verbraucher. Während Matthias Wolfschmidt von der Verbraucherorganisation Foodwatch kritisierte, dass Verbraucher zu wenig Informationen über Lebensmittel bekämen, und den „Vorrang von objektiven Information für die Verbraucher gegenüber Werbung und Marketing durch Unternehmen“ forderte, wies Dr. Christian Bala vom Verbraucherforschungszentrum NRW auf neue Erkenntnisse der Forschung hin: „Zu viele Informationen führen eher zu einem Aufschieben von Entscheidungen.“ PD Dr. Gaby-Fleur Böl vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) berichtete, dass viele Verbraucher eher klare Maßnahmen und staatliche Verbote erwarteten, als sich selbst über Lebensmittel informieren zu wollen, wie eine Befragung im Auftrag des BfR ergab: „Oft können oder wollen viele Verbraucher gar nicht mündig sein.“

Außerdem musste das BfR feststellen, dass das, was Experten über Lebensmittelsicherheit denken, sehr weit auseinanderklafft zu dem, was Verbraucher als Risiken empfinden. Dies konnte auch Dr. Holger Brackemann von der Stiftung Warentest bestätigen. „Nicht immer korreliert das, was den Verbraucher aufregt, mit dem tatsächlichen Risiko.“ Eine fachliche Aufklärung und klare Statements seien daher „alternativlos“. Peter Lang, von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, zog aus den zahlreichen Kampagnen der BZgA den Schluss, dass Kommunikation immer zielgruppengerecht erfolgen und man die Kommunikationsbedürfnisse der Zielgruppen beachten müsse.

Frühwarnsysteme im Überblick

Sowohl von der Industrie als auch von den Behörden sind in den vergangenen Jahren Informationssysteme eingeführt worden, die über den reinen Schutz der Verbraucher vor unsicheren Lebensmitteln hinausgehen. Ziel dieser Frühwarnsysteme ist es, negative Entwicklungen bereits im Ansatz aufzudecken und somit Krisen erst gar nicht entstehen zu lassen. In Deutschland hat das BVL mit BeoWarn eine Beobachtungs- und Warnstelle zur Krisenprävention eingerichtet. Die Mitarbeiter von BeoWarn beobachteten Entwicklung im Lebensmittelbereich, sagte Dr. Petra Luber vom BVL. „Sie verdichten die Informationen und bereiten sie für Bundes- und Länderbehörden in Form von Berichten und Steckbriefen auf, die diese präventiv oder im Krisenfall nutzen können.“

Am niederländischen Forschungsinstitut RIKILT wurden Parameter untersucht, die Einfluss auf das Auftreten von Lebensmittelbetrug haben können, wie etwa die Preisentwicklung, Klimaschwankungen oder die Lebensmittelsicherheitsstandards in einzelnen Staaten. Beim Abgleich mit Meldungen aus verschiedenen Schnellwarnsystemen wie dem europäischen Schnellwarnsystem für Lebens- und Futtermittel RASFF zeigte sich, dass mehr als 90 Prozent der Ereignisse mit den Parametern korrekt vorhergesagt hätten werden können, wie Dr. Hans Marvin in seinem Vortrag berichtete.

Dr. Jens Linge vom JRC der Europäischen Kommission stellte das System MediSys vor. Das System monitort systematisch und in großem Umfang die Medien, um frühzeitig Infektionskrankheiten, aber auch Risiken, die von Lebensmitteln oder Verbraucherprodukten ausgehen können, zu erkennen. Die Ergebnisse sind öffentlich und werden von den nationalen Behörden als Informationsquelle genutzt.

In der Vernetzung und im Austausch, da waren sich alle Referenten einig, lägen die größten Möglichkeiten, die Frühwarnsysteme weiter zu verbessern. Dr. Tobin Robinson von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) machte jedoch klar, dass jede Vorhersage ihre Grenze hat: „Wir werden niemals alles identifizieren können.“

Informationsmanagement in Zeiten der Globalisierung

Der Warenverkehr im 21. Jahrhundert ist global. Was für die Verbraucher immer neue Möglichkeiten eröffnet, stellt Unternehmen und Überwachungsbehörden vor ganz neue Herausforderungen. Der zweite Tag des Symposiums widmete sich der Frage, wie Behörden an die notwendigen Informationen gelangen, um risikobehaftete oder gefälschte Lebensmittel rechtzeitig erkennen zu können. Nach Meinung von Dr. Marcus Girnau vom Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde haben hier Wirtschaft und Überwachung das gleiche Ziel. Beide wollten Lebensmittelbetrug und Lebensmittelverfälschung frühzeitig erkennen. Dazu müssten sie „ihre Erkenntnisse zu einem frühen Zeitpunkt zusammenführen und sich dazu austauschen.“ Der BLL stellt sich zu diesem Zweck einen neutralen Treuhändler vor, der die Informationen übergibt.

Anja Tittes vom Bundesverband der Lebensmittelkontrolleure benannte in ihrem Vortrag viele Informationslücken, die eine systematische Lebensmittelüberwachung erschweren. So fehle eine landkreis- und länderübergreifende Vernetzung innerhalb der Lebensmittelüberwachung. Aber auch der Austausch mit anderen Behördenbereichen sei zu verbessern – etwa mit den Landwirtschaftsbehörden, den Finanzbehörden oder den Gewerbeämtern. „Nichts ist so global wie der Lebensmittelhandel und nichts ist so lokal aufgestellt wie die Lebensmittelüberwachung. Das ist ein täglicher Spagat“, machte sie deutlich. Nötig sei daher eine zentrale Stelle, die Informationen über Probleme auf dem globalen Markt sammle, verdichte, aufbereite und den Lebensmittelkontrolleuren vor Ort Handlungsempfehlungen gebe.

Dr. Andrew Morling von der britischen Food Safety Agency sieht Whistleblower als eine wichtige Quelle, um Lebensmittelbetrug aufzudecken. Noch wichtiger sei es allerdings, dass sich überhaupt jemand des Themas annehme. Er zeigte sich überzeugt: „Food Fraud gibt es schon seit Jahrzehnten, aber es hat keiner untersucht.“ Nach seinen Erfahrungen entwickelt sich bei Unternehmen aus der Bereitschaft, gegen das Lebensmittelrecht zu verstoßen, auch die Bereitschaft, Lebensmittelbetrug zu begehen. Daher sei es wichtig, das Risiko, bei Lebensmittelbetrug aufzufliegen, zu erhöhen, aber auch das Bewusstsein zu stärken, dass Lebensmittelbetrug kein Kavaliersdelikt ist. Dietmar Moellmann vom Zollkriminalamt bezeichnete ebenfalls die Aufdeckung von Verstößen als Instrument der Abschreckung. Der Zoll sei stark an den Erkenntnissen der Lebensmittelüberwachung interessiert. Er bot daher auf dem Symposium den Überwachungsbehörden eine „schnelle und unkomplizierte“ Zusammenarbeit an.

Hintergrund

Das Symposium „Prävention durch Information“ ist Teil einer BVL-Veranstaltungsreihe. Experten tauschen sich vor einem jährlich wechselnden Themenhintergrund über die Herausforderungen des kommenden Jahres aus. Erstmals wurde die Veranstaltung vom BVL gemeinsam mit einem Partner – der Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission (JRC) – organisiert. Das JRC unterstützt als wissenschaftliche Organisation der Europäischen Kommission die europäische Politik durch wissenschaftsbasierte unabhängige Beratung.

Das BVL ist eine selbstständige Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) und hat seinen Aufgabenschwerpunkt im gesundheitlichen Verbraucherschutz. Beispielsweise koordiniert das BVL die von den Ländern durchgeführten Überwachungsprogramme für Lebensmittel, Futtermittel und Bedarfsgegenstände und ist nationale Kontaktstelle für das Schnellwarnsystem der Europäischen Union (RASFF). Im Krisenfall kann im BVL ein Lagezentrum eingerichtet und die Bund-Länder-Task Force „Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit“ einberufen werden.

BVL-Präsident Dr. Helmut TschierskyDie große Herausforderung der Zukunft ist es, die Analyse von Informationen fachlich so zu schärfen, dass wir bei der Prävention schneller und besser werden«, fasste BVL-Präsident Dr. Helmut Tschiersky die Zielsetzung des Symposiums zusammen. © Pflug/BVL

Elke Anklam, Direktorin beim JRCElke Anklam, Direktorin beim JRC, dem Mitorganisator des Symposiums, betonte, wie wichtig die Vernetzung von Behörden untereinander ist. © Pflug/BVL

Symposium 2016 Diskussion 1Wie viel Information braucht der Verbraucher? Die Referenten (v. l. n. r.) Dr. Holger Brackemann (Stiftung Warentest), Peter Lang (BzgA), PD Dr. Gaby Fleu-Böl (BfR), Dr. Christian Bala (Verbraucherzentrale NRW) und Matthias Wolfschmidt (Foodwatch) vertraten bei Moderatorin Nina Banspach (BVL) unterschiedliche Meinungen.© Pflug/BVL

Symposium 2016 Diskussion 3Moderator Dr. Gerd Fricke diskutierte mit Dr. Andrew Morling (FSA), Dietmar Moellmann (Zollkriminalamt), André Berends (EU-Kommission), Anja Tittes (BVLK) und Dr. Marcus Girnau (BLL) Möglichkeiten des Informationsmanagements in globalen Warenströmen.© Pflug/BVL

Weiterführende Informationen

Quelle: Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit
Pressestelle • Mauerstraße 39-42 • 10117 Berlin
Telefon: 030/18444-00211 • Telefax: 030/18444-00209
E-Mail: pressestelle@bvl.bund.de • www.bvl.bund.de

Pressesprecherin Nina Banspach (V.i.S.d.P.)

Zurück